Grussbotschaft von Rémy Hübschi

«Der Übertritt in eine nachobligatorische Ausbildung ist für die Jugendlichen von grosser Bedeutung. Besuch und Abschluss einer Ausbildung auf Sekundarstufe II legen den Grundstein für einen erfolgreiche Integration ins Erwerbsleben.  Ein gelingender Berufswahlprozess hängt von vielen Faktoren ab. Sowohl Entwicklungen aus der Praxis als auch Grundlagenforschung aus der Wissenschaft sind gefragt, wenn es darum geht, Jugendliche im Berufswahlprozess gut zu begleiten. Das SBFI begrüsst es, dass mit dem Richard-Beglinger-Preis ausserordentliche Leistungen in diesem Bereich honoriert und bekannt gemacht werden können.»

Rémy Hübschi
Stellvertretender Direktor Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation
Leiter Berufs- und Weiterbildung
2. August 2023

LCH mit eigenem Stand an der Swissdidac 2023 & Preis­verleihung Richard-Beglinger-Preis

Text: Claudia Baumberger & Marcello Weber, Fotos: Jana Leu & Marcello Weber

LCH ist mit eigenem Stand und vielen gut beachteten Angeboten vertreten. Als ein Höhepunkt konnte die Fachkommission Berufliche Orientierung schon zum zweiten Mal den Richard-Beglinger-Preis verleihen: Den Hauptpreis 2023 für das Siegerprojekt erhielt das Lernhaus «tipiti» in Wil SG, der Anerkennungspreis ging an das Projekt «Klassengastro, Schulklasse meets Restaurant»

Gut besuchter Treffpunkt

Die Schule wird digitaler. Um diese Erkenntnis kommt niemand herum, der zwischen dem 21. und 23. November die Bildungsmesse Swissdidac auf dem Gelände der Bernexpo besuchte. Der schweizweit grösste Markt für alles, was mit Schule und Lernen zu tun hat, zog in den drei Tagen rund 7800 Besucherinnen und Besucher an. Dies teilte die Messeleitung nach Abschluss der Messe mit. Das bedeutet eine leichte Erhöhung der Zahlen nach der Durchführung vor zwei Jahren, die während der Coronapandemie stattgefunden hatte. Der Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) war erneut mit dabei.

Der LCH-Stand an der Swissdidac wurde als Treffpunkt für einen gemütlichen Schwatz geschätzt.

Der gut erreichbare Stand des LCH war auch dieses Jahr wieder ein beliebter Ort für den Austausch oder die kleine Pause mit Kaffee und Gipfeli. Wer wollte, suchte das Gespräch mit Funktionärinnen und Funktionären des LCH. Diese Gelegenheit bietet sich sonst nicht allzu oft. Zum Angebot gehörten neben dem Kaffeebetrieb zudem kostenlose Workshops zu verschiedenen Themen, ein Büchertisch des Verlags LCH, ein Informationsstand zum überarbeiteten Handbuch Krisenkompass sowie eine kleine Ausstellung mit acht Kurzvideos von Präsidentinnen und Präsidenten des LCH und kantonaler Berufsverbände.

Ruth Sprecher, Präsidentin der FK BO LCH, moderierte die Richard-Beglinger-Preisvergabe 2023.

Support für Jugendliche mit Start­schwierig­keiten

Mit dem Richard-Beglinger-Preis werden Projekte mit besonderen Verdiensten beim Übergang von der Schule ins Berufsleben ausgezeichnet. Als Gewinner des Hauptpreises erkor die Jury das Lernhaus «tipiti» in Wil SG. Die 2006 gegründete Sonderschule wird vom Verein Tipiti geführt, Träger von insgesamt sieben Schulen in den Kantonen St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden.

Das Oberstufenzentrum Wil, wie das Lernhaus auf der Website genannt wird, nimmt Schülerinnen und Schüler auf, die eine besondere Vorbereitung in der Berufswahl benötigen. Bereits während der Schulzeit baut es starke Beziehungen auf, die auch während der beruflichen Grundbildung aufrechterhalten bleiben. Die Institution hilft nach Lehrabbrüchen, bei Suchtproblemen, Mutterschaft in der Ausbildung, als Hausaufgabenhilfe, bei der Prüfungsvorbereitung oder beim Formulieren von Briefen.

Das ist nur ein kleiner Auszug aus den in den vergangenen Jahren gemachten Erfahrungen. Stephan Herzer nahm den Preis für die Sonderschule zusammen mit Damaris Diethelm und Helena Kappich entgegen. «In den 16 Jahren, in denen es die Schule gibt, konnten knapp 100 Jugendliche begleitet werden, rund 85 Prozent davon haben den Einstieg ins Berufsleben geschafft», sagte er in seiner Dankesrede.

Stephan Harzer vom Lernhaus «tipiti» in Wil SG bedankt sich für den Hauptpreis.

«In den 16 Jahren, in denen es die Schule gibt, konnten knapp 100 Jugendliche begleitet werden, rund 85 Prozent davon haben den Einstieg ins Berufsleben geschafft»

Stephan Harzer vom Lernhaus «tipiti» in Wil SG
Stephan Herzer nahm den Preis für die Sonderschule zusammen mit Damaris Diethelm und Helena Kappich entgegen.

… und ein Gala-Dinner für die Eltern

Neben dem Hauptpreis (8000 Franken) vergab die Jury auch einen Innovationspreis (2000 Franken). Er wurde einem Projekt des bernischen Branchenverbands Gastrobern zugesprochen. Dieser bringt Schulklassen mit Gastrobetrieben zusammen. Die Siebtklässlerinnen und Siebtklässler bereiten zusammen mit den Profis des Betriebs ein mehrgängiges Abendessen für Eltern und befreundete Personen durch. Sie lernen dabei die verschiedenen Berufe im Gastronomiebereich kennen.

Die Gewinnerin des Hauptpreises von vor zwei Jahren, Jennifer Wandfluh, gab einen Einblick in die nachhaltige Weiterführung ihres Projektes mit dem RBP-Preisgeld.
Die Projektleitung des bernischen Branchenverbands Gastrobern um Christopher Risse durfte den Innovationspreis entgegennehmen.

Eine Schule begleitet Jugend­liche bis zum Lehrabschluss

Porträt Lernhaus «tipiti», Wil SG, Sieger­pro­jekt Richard-Beglinger Hauptpreis 2023

Text: Claudia Baumberger & Marcello Weber, Fotos: Tamara Diethelm

Nach dem letzten Schultag lassen die meisten Abgängerinnen und Abgänger ihre Schule für immer hinter sich. Nicht so im Lernhaus «tipiti» in Wil SG: Die Lehrpersonen begleiten manche von ihnen bis zum Abschluss ihrer Lehre weiter …

Sozialpädagogin Damaris Diethelm unterstützt Oberstufenschüler Jonas bei der Lehrstellensuche

Jonas hat schon zwei Zusagen für eine Lehrstelle erhalten. Nun hat er die Qual der Wahl. «Du kannst stolz auf dich selbst sein!», sagt die Sozialpädagogin Damaris Diethelm und zwinkert dem Oberstufenschüler Jonas zu. Sie sitzen gemeinsam im Beratungszimmer des Lernhaus «tipiti» in Wil SG. Eben hat Jonas per Telefon die Zusage für eine Lehrstelle als Zimmermann erhalten. Das Telefongespräch hat er zusammen mit Diethelm vorbereitet. Jonas schreibt seinen Eltern sofort eine WhatsApp-Nachricht.

«Lass es mal setzen und sprich heute Abend mit deinen Eltern darüber»

Damaris Diethelm, Sozialpädagogin

Am Abend will der Vater den Erfolg mit einem Kuchen feiern – bereits zum zweiten Mal, denn vor wenigen Tagen hat Jonas schon eine Zusage erhalten. Nun hat er die Qual der Wahl: Soll er sich für den grösseren, professionelleren Betrieb mit einem umständlichen Arbeitsweg oder für den Kleinbetrieb in der Nähe seines Wohnortes entscheiden? «Lass es mal setzen und sprich heute Abend mit deinen Eltern darüber», rät ihm Diethelm.

Gewinner des Richard-Beglinger-Preises

Jonas geht noch in die Oberstufenschule im Lernhaus. Diese Tages-Sonderschule richtet sich an Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen. Sie legt grossen Wert auf die Berufswahl und den Einstieg in die Berufswelt. Für ihr Engagement hat die Schule im November 2023 den Richard-Beglinger-Preis gewonnen.

Der Schulalltag in Wil ist stark ritualisiert. Um 8 Uhr treffen die Jugendlichen ein – manche frühstücken in der Schule. Um 8.20 Uhr müssen alle in der Startrunde teilnehmen. Dort legen die Jugendlichen und die Fachpersonen gemeinsam fest, wer in den kommenden vier Lektionen von welcher Lehrperson unterrichtet wird und wer beim Kochen hilft. Nach dem Unterricht und dem gemeinsamen Mittagessen folgen am Nachmittag die thematischen Gruppenarbeiten. Um 16.15 Uhr treffen sich wieder alle für die Schlussrunde. Die Jugendlichen erhalten für jede Lektion eine Rückmeldung zu ihrem Verhalten und ihrer Leistung. Um 17 Uhr ist Schulschluss.

Wer will, kann weiterhin zum Mittagessen ins Lernhaus kommen

Vor dem Mittagessen besucht Sozialpädagogin Diethelm in einer nahegelegenen Kleintierpraxis die ehemalige Oberstufenschülerin Jessica. Solche Besuche sind Teil der nach­ schulischen Begleitung. Jessica absolviert ein einjähriges Praktikum als tiermedizinische Praxisassistentin. Seit drei Monaten arbeitet sie nun schon in der Praxis, sorgt für Sauberkeit im Behandlungsraum und assistiert bei Behandlungen und Operationen.

«Es macht Freude, wenn ein Patient zur Kontrolle kommt und es ihm wieder besser geht»

Jessica, Absolventin einse Praktikums als tiermedizinische Praxisassistentin
Jessica bei ihrer täglichen Arbeit in der Tierarztpraxis

«Es macht Freude, wenn ein Patient zur Kontrolle kommt und es ihm wieder besser geht», schwärmt Jessica. Doch gibt es auch belastende Situationen, und bei Operationen wird ihr ab und zu schwindlig. Dann darf sie jeweils rausgehen. «Kommt das oft vor?», fragt Diethelm. «Nein, eigentlich nicht mehr, seitdem ich jeden Morgen frühstücke, wie du mir geraten hast», antwortet Jessica. Dass auch der Tod eine Realität in der Tierpraxis ist, musste sie bereits in der ersten Arbeitswoche erfahren. Über die Gefühle, die das in ihr auslöste, konnte Jessica mit Diethelm reden. 

Dank Berufsbildung Anschluss finden, Unterstützung der Lernenden auch nach Schulabschluss.

Die ehemalige Oberstufenschülerin Jessica absolviert ein Praktikum als tiermedizinische Praxisassistentin. Es ist zwölf Uhr. Jessica zieht sich um und geht anschliessend zusammen mit Diethelm ins Lernhaus «tipiti» zum Mittagessen. Auch dies gehört zur nachschulischen Begleitung: Wer will, kann weiterhin zum Mittagessen ins tipiti kommen. Das gewohnte Umfeld gibt Sicherheit und Geborgenheit.

Lernende haben auch im Arbeitsalltag weiterhin mit ihren BetreuerInnen Kontakt

Die 21 Jugendlichen, welche die «tipiti» Oberstufe besuchen, wurden vom schulpsychologischen Dienst zugewiesen, weil sie im Verhalten oder beim Lernen auffällig sind. «Eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft ist über die Berufsbildung möglich», ist der Schulleiter und Heilpädagoge Stephan Herzer überzeugt.

«Eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft ist über die Berufsbildung möglich»

Stephan Herzer, Schulleiter und Heilpädagoge

Die Schule unterrichtet nachdem Lehrplan des Kantons St. Gallen und richtet sich fächerübergreifend stark auf die Berufswahl und den Ein­ stieg in die Berufswelt aus. Wichtige Lernziele sind Verantwortung, Zuverlässigkeit, Selbstsicherheit und Fairness. Nach der obligatorischen Schulzeit werden die Jugendlichen weiterhin niederschwellig und kostenlos von ihnen bereits bekannten Fachpersonen unterstützt. Die Leistungen der Schule inklusive der Nachbetreuung werden voll­ umfänglich vom regulären Pensenpool für Sonderschulen gedeckt.

Stephan Herzer, Schulleiter vom Lernhaus «tipiti»

Der Schulleiter vom Lernhaus «tipiti», Stephan Herzer, ist sich sicher, dass Berufsbildung wichtig ist für die Schülerinnen und Schüler, sowie für die Gesellschaft. Und Ruth Sprecher, die Präsidentin der Fachkommission Berufliche Orientierung des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH und Mitglied der Jury des Richard-Beglinger-Preises ist überzeugt: «Die koordinierte Zusammenarbeit aller Beteiligten von der Oberstufe bis zum Abschluss der Berufsausbildung zeichnet dieses Projekt besonders aus».

Ruth Sprecher zu Besuch im Lernhaus «tipiti» lässt sich von einem Lernenden erklären, womit sich dieser gerade beschäftigt.

«Die koordinierte Zusammenarbeit aller Beteiligten von der Oberstufe bis zum Abschluss der Berufsausbildung zeichnet dieses Projekt besonders aus».

Ruth Sprecher, Präsidentin der Fachkommission Berufliche Orientierung des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH und Mitglied der Jury des Richard-Beglinger-Preises

Schulische und sozialpädagogische Unter­stützung

Die Nachbetreuung für ehemalige Schülerinnen und Schüler wie Jessica während der Berufsbildung ist optional. Die tipiti Oberstufe bietet eine schulische und eine sozialpä dagogische Begleitung an. Zum schulischen Teil gehört die Aufgabenhilfe an zwei Abenden pro Woche. Angeboten werden sie von Heilpädagoginnen und Heilpädagogen. Zur sozialpädagogischen Betreuung gehört der Besuch einer Sozialpädagogin oder eines Sozialpädagogen am Arbeitsplatz im ersten Quartal nach dem Schulabgang. Weitere Unterstützung ist bei Bedarf während der ganzen Berufsausbildung möglich.

Genau diese langjährige Betreuung durch dieselben Personen erachtet auch Ruth Sprecher, Präsidentin der der Fachkommission Berufliche Orientierung des LCH und Mitglied der Jury des Richard-Beglinger-Preises, als besonders wertvoll. «Die koordinierte Zusammenarbeit aller Beteiligten (Jugendliche, Eltern, Schule, Lehrbetriebe und weitere Bezugs- und Betreuungspersonen) von der Oberstufe bis zum Abschluss der Berufsausbildung zeichnet dieses Projekt besonders aus», sagt sie.

Seit 2007 haben 97 Jugendliche ihre Schulzeit an der «tipiti» Oberstufe beendet. 85 Prozent davon haben einen eidgenössischen Berufsabschluss geschafft oder sind noch in der Ausbildung dazu. Für die restlichen wurden andere Anschlusslösungen gefunden. 25 Prozent der Jugendlichen nahmen die schulische und 45 Prozent die sozialpädagogische Nachbetreuung in Anspruch. Diese Nachbetreuungen erlauben den Schülerinnen und Schülern auch im Arbeitsalltag Kontakt zu den Betreuungspersonen, die ihnen aus der Schulzeit vertraut sind.

Neuntklässlerin Vian bei ihrem Schnupperpraktikum in der Migros

Im Alltag von Schulsozialpädagogin Diethelm ist unterdessen Nachmittag. Sie reist nach St. Gallen, um Neuntklässlerin Vian bei ihrem Schnupperpraktikum in der Migros zu besuchen. Vian füllt gerade die Getränkeflaschen nach, ist aber etwas aufgewühlt, weil sie sich über eine Freundin aufregt. Zum Glück schaut Diethelm vorbei. Es gelingt ihr, Vian etwas zu beruhigen.

Schulsozialpädagogin Diethelm besucht Vian bei ihrem Schnupperpraktikum

Der Richard-Beglinger-Preis

Der Richard-Beglinger-Preis prämiert alle zwei Jahre innovative Projekte, welche die berufliche Orientierung und Berufsfindung von Jugendlichen unterstützen. Das Preisgeld beträgt insgesamt 10’000 Franken. Der Preis wurde von der Fachkommission Berufliche Orientierung des LCH lanciert. (Im Netz: www.richardbeglingerpreis.ch)

Am 22. November 2023 fand in Bern im Rahmen der Swissdidac zum zweiten Mal eine Preisverleihung statt. Hauptgewinner wurde die Oberstufe des Lernhaus «tipiti» in Wil SG. Die Tages-Sonderschule unterrichtet auf dem Niveau der Sekundar- und Realstufe sowie der Kleinklasse. Hinter der Schule steht der Verein tipiti, der unterschiedliche Förder- und Wohnangebote für Kinder und Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen anbietet. Mit dem Preisgeld von 8’000 Franken will der Verein die nachschulische Betreuung für Jugendliche öffnen, die nicht ihre Schule besuchten. (Im Netz: www.tipiti.ch/oberstufenschule-wil)

Der mit 2000 Franken dottierte Richard-Beglinger-Anerkennungspreis ging an das Projekt «Klassengastro – Schulklasse meets Restaurant». In diesem Projekt bekochen und bewirten Jugendliche in einem Restaurant ihre Eltern und lernen so die Gastroberufe kennen. (Im Netz: www.gastrobern.ch/infos)

Hauptpreis Richard-Beglinger-Preis 2023

Laudatio zum Sieger­projekt (Lernhaus «tipiti» Wil SG) von Jurymitglied Dagmar Voith

Jurymitglied Dagmar Voith hält die Laudatio für das Siegerprojekt.

Die Grundsätze zur Beruf­lichen Ori­en­tierung der Sek 1 hören sich ein­fach genug an. So steht z. B. in einem Grund­satz­papier der FHNW:

  1. Primäres Ziel der beruflichen Orientierung an der Sek I Stufe ist der direkte Ein­stieg in die Berufs­bildung oder Schul­bildung Sek ll.
  2. Die Ver­netz­ung und Zusammen­­arbeit der Institutionen gewähr­­leistet die opti­male Unter­­stützung sowie die Stär­kung der Selbst­­verantwortung der Schülerinnen und Schüler im Berufswahl­prozess und bei der Findung der Anschluss­­lösung.
  3. An jedem Sek l Standort resp. Schul­träger gibt es mindestens eine Lehr­person, die in Bezug auf den Berufswahl­prozess besonders qualifiziert ist.
  4. Es ist gewähr­leistet, dass Jugend­liche mit Risiko­­faktoren nach Bedarf individuell begleitet werden, bis sie eine Anschluss­­lösung erlangen.
  5. Jede Schülerin, jeder Schüler hat eine ent­sprechende schul­ische oder beruf­liche Anschluss­­lösung.

Was hier besonders auf­fällt, ist nicht einmal so sehr die Tat­sache, dass wir in aller Regel von Durchschnitts­­schülerinnen und -schülern ausgehen, die mehr oder weniger über einen Kamm geschert werden können (SuS mit Risiko­­faktoren – was auch immer darunter ver­standen wird – werden explizit als Spezialgruppe erwähnt), sondern vielmehr die Tat­sache, dass als einziges Ziel der beruf­lichen Or­ien­tierung eine «Anschluss­lösung» definiert wird, die Auf­gaben der beruf­lichen Or­ien­tierung danach als ab­ge­schlossen betrachtet werden. Ganz wie im Märchen, wo wir auch nicht über das Happy End hinausschauen wollen … wer will sich schon ein Happy End vermiesen lassen.

Unsere Haupt­­preis­träger jedoch nehmen nicht nur jeden Schritt der indi­viduellen Be­­gleitung bei der beruf­lichen Or­ien­tierung sehr ernst, sie be­gnügen sich auch nicht mit dem Happy End. Sie wollen sicher­­stellen, dass der Weg ihrer Lernenden auch nach dem Beginn einer beruflichen Grund­­bildung (eben der Anschluss­lösung) weiter­­geht, auch wenn sich vor ihnen Hür­den aufbauen sollten, die so sicher kommen wie das Happy End in Märchen.

«Das An­gebot der nach­schulischen Be­treuung mit dem Ziel der Unter­stützung im Berufswahl­­prozess bis zum Ab­schluss der beruf­lichen Grund­bildung ist hervor­ragend. Es leis­tet nach­weis­lich einen wich­tigen Bei­trag zur Chancen­­gleich­heit.»

Jury Richard-Beglinger-Preis

Was die Jury besonders über­zeugt hat bei diesem aus­gezeichneten (in jedem Sinn verstanden) Projekt, ist dieser ganz­­heitliche und nach­­haltige Ge­danke, dass Jugend­­liche nicht nur indi­vidu­elle Be­g­leitung benötigen auf ihrem Weg ins Berufs­leben sondern oft auch dann noch zu­sätzliche Unter­­stützung brauchen, wenn sie bereits in der beruf­­lichen Welt ange­kommen sind. Dies gilt für Schüler von «Besonder­schulen» ganz besonders, aber sicher­lich auch für ganz viele andere.

Die Jury be­gründet ihre Wahl des dies­jährigen Haupt­­preises des Richard Beglinger Preises unter anderem so: «Das Angebot der nach­­schulischen Betreu­ung mit dem Ziel der Unter­­stützung im Berufs­wahl­­prozess bis zum Ab­schluss der beruf­lichen Grund­­bildung ist hervor­ragend. Es leistet nach­weislich einen wichtigen Bei­trag zur Chancen­­gleichheit.»

«Eine Re-Inklusion in die Gesell­schaft ist auch in separativen Schul­systemen über die Berufs­bildung möglich. Umwege und Sack­gassen verunsichern die Jugend­lichen und ihr Um­feld. Ein trag­fähiges Netz­werk von Bezugs­personen bietet Orientierung und Unter­stützung.»

Projektziel des Tipiti Lernhauses Wil

Ihr Projektziel hat das Tipiti Lernhaus Wil bei der Eingabe folgendermassen beschrieben: «Eine Re-Inklusion in die Gesell­schaft ist auch in separativen Schul­systemen über die Berufs­bildung möglich. Um­wege und Sack­gassen verunsichern die Jugend­lichen und ihr Um­feld. Ein trag­fähiges Netzwerk von Bezugs­personen bietet Orientierung und Unter­stützung. Die wichtigste Ressource dabei ist die vertrauens­volle Beziehung, welche in der Schul­zeit entwickelt wurde und über die Zeit der beruflichen Erst­ausbildung bis zum Lehr­abschluss Bestand hat.»

Ein solches Unterstützungs­system ist nicht nur für die besonderen Jugend­lichen und ihre Familien Gold wert, auch Betriebe können so unter­stützt werden. Für Be­triebe sind Aus­zu­bildende meist nicht in erster Linie eine Arbeits­kraft, die er­leichternd wirkt, sondern, besonders zu Beginn der Ausbildungs­zeit, auch mit grossem Aufwand verbunden. Auszubildende, die noch besondere Bedürfnisse mitbringen, können dann häufig die Waage zum Kippen bringen, ob ein Ausbildungs­platz angeboten wird oder nicht, da sich Betriebe solche Betreuung entweder nicht zutrauen oder den Aufwand scheuen. Wenn dann eine Schule ein Angebot macht und bei der Betreuung der Jugend­lichen über die gesamte Ausbildungs­zeit hinweg aktive Begleitung in die Waag­schale wirft, können Ausbildungs­plätze gewonnen werden, die sonst fehlen würden. In einem solchen System gibt es nur Siegerinnen und Gewinner.

Ich habe ein solches Angebot in meiner Zeit als Rektorin der Brücken­angebote Basel-Stadt auch gekannt, wo wir etwas ähnliches angeboten haben. Und ich weiss aus eigener Erfahrung, wie gut so ein Nachbetreuungs­angebot nicht nur bei Jugend­lichen angekommen ist, die gern an den Ort zurückkommen, an dem sie sich wohl und unterstützt gefühlt hatten, sondern ganz stark auch bei Ausbildungs­betrieben. Die Erfolgs­zahlen von Tipiti sprechen diesbezüglich eine klare und eindrückliche Sprache.

Wenn ein Angebot erfolgreich ist, spricht sich das natürlich herum. Wenn Tipiti nun durch den Richard Beglinger Preis ihr Angebot ausweiten kann, so dass nicht nur Jugend­liche aus der von uns prämierten Schule, sondern auch welche aus dem weiteren Um­feld in den Genuss dieses hervor­ragenden Angebotes kommen können, wäre dies nicht nur höchst erfreulich, es wäre ganz bestimmt auch im Sinne des Namens­gebers dieses Preises.

Jurymitglied Dagmar Voith gratuliert dem Schulleiter Stephan Herzer des Lernhauses „tipiti“
in Wil SG zum Gewinn des Hauptpreises 2023.

Wir gratulieren dem Tipiti Lernhaus Wil von ganzem Herzen zum Gewinn des dies­jährigen Richard Beglinger Haupt­preises! (Dagmar Voith)

Siegerprojekt Richard-Beglinger-Preis 2023

Dank zum Gewinn des Hauptpreises (Lernhaus «tipiti», Wil SG) von Stephan Herzer

Der Schulleiter Stephan Herzer bedankt sich in seiner Rede für die Vergabe des Richard-Beglinger-Hauptpreises 2023 an das Lernhaus «tipiti» und die für das Projekt verantwortlichen Lehrpersonen.

Liebe Ruth Sprecher, Präsidentin der Fachkommission Berufliche Orientierung des LCH, geschätzte Jury des Richard-Beglinger-Preises 2023, sehr geehrte weitere Anwesenden

Wir, das sind Frau Diethelm, Frau Kappich und ich, Stephan Herzer, freuen uns riesig, dass wir heute hier in der Bundeshauptstadt an der Swissdidac stehen dürfen wo sich alles, was in der Bildung Rang und Namen hat ein Stelldichein gibt – und wo wir stellvertretend für unser kleines Lernhaus in Wil SG den Beglinger Preis in Empfang nehmen dürfen. Wil ist weit, weit im Osten, also noch weiter als Winterthur, wo für die meisten die Schweiz bekanntlich aufhört. Das ist eine sehr, sehr grosse Ehre für uns!

Ruth weiss noch, wie verwirrt ich zunächst reagierte, als sie mich angerufen und informiert hat, dass wir in die Kränze gekommen sind. Ich habe zunächst gar nicht kapiert, worum es überhaupt geht. Es war einfach unglaublich und auch wenn wir mittlerweile etwas Zeit hatten, diese Nachricht zu verdauen, sind wir auch jetzt noch ziemlich von den Socken.

Ich soll also etwas zu uns sagen, zu unserer Arbeit im Allgemeinen und unserem Projekt im Speziellen. Das mache ich sehr gerne und fasse mich so kurz wie möglich.

Unsere kleine Delegation vertritt das tipiti Lernhaus Wil, das als kantonale Sonderschule für Lernen & Verhalten für den Zyklus 3 anno 2006 gegründet worden ist. Wer uns kennt, der weiss, dass wir uns stets für eine Inklusive Schule stark gemacht haben. Eine Sonderschule als Stimme für inklusive Bildung? Das scheint auf den ersten Blick vielleicht wie ein Widerspruch. Ist es aber nicht. Wir sind Realisten genug, um zu sehen, dass das System Regelschule vielerorts noch nicht die Haltekraft entwickeln konnte, die es braucht, um Sonderschulen überflüssig zu machen. Noch gibt es Kinder und Jugendliche, die in ihren Bedürfnissen nicht ausreichend unterstützt werden können und die man glaubt, separieren zu müssen. Da kommen wir ins Spiel. Wir sind der Überzeugung, dass Inklusion über die Grenzen von Schule hinaus, als gesamtgesellschaftliches Anliegen gedacht werden muss. Und wir treten an, Inklusion über die Berufsausbildung möglich zu machen.

Am Lernhaus stellen wir darum den Berufseinstieg ins Zentrum unseres Auftrags. Unsere Lernenden gehen früh und intensiv auf Tuchfühlung mit der Arbeitswelt, wir pflegen ein stetig wachsendes Netzwerk an Lehrbetrieben und stehen mit Fachleuten aus dem Feld der Berufsberatung, der IV, den weiterführenden Schulen, sozialen Diensten, etc. in dauerndem Kontakt. Und vor allem setzen wir auf starke Beziehungen zu unseren Lernenden, die über die Schulzeit hinaus gehen.

Diesen tollen Preis haben wir für unser Projekt der Nachschulischen Betreuung gewonnen. Den Jugendlichen – allen Jugendlichen notabene – stehen auf dem Weg in ein selbstbe-stimmtes Erwachsenenleben zwei grosse Hürden im Weg stehen. Das sind die beiden Übergänge von der Volksschule in die Berufsausbildung – und nach deren Beendigung der zweite Übergang ins tatsächliche Berufsleben. Beide Übergänge sind oft mit dem Verlust von vertrauensvollen Lernbeziehungen verbunden. Im Fall von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Bedürfnissen meistens auch mit dem Wegfall der bisherigen sonderpädagogischen Unterstützung. Diese Hürde helfen wir zu meistern, indem unsere Ehemaligen auch nach Abschluss der Volksschule weiterhin zum Lernhaus gehören und wir unseren Auftrag erst mit der vollen Integration unserer Lernenden ins Erwerbsleben als erledigt betrachten.

Wir bieten zunächst die Sozialpädagogische Nachbetreuung an. Frau Diethelm hält weiterhin den Kontakt zu unseren Ehemaligen und deren Lehrbetrieben. Sie werden visitiert, es wird nachgefragt, mal braucht es eine Mediation zwischen Lehrling und Lehrbetrieb, mal gilt es einen Lehrabbruch über die Bühne zu bringen und eine neue Lehrstelle zu finden. Mal muss eine Fachstelle für Suchtfragen oder Schuldenberatung mit ins Boot geholt werden, mal geht es um eine Mutterschaft während der Lehrzeit, es braucht Hilfe im Umgang mit Behörden, Vermittlung in der Familie, der Jobbeschrieb von Frau Diethelm ist lang. Zum zweiten steht das Angebot der Schulischen Nachbetreuung allen unseren Ehemaligen zur Verfügung. An zwei Abenden pro Woche – in dringenden Fällen auch mal ausserplanmässig – stehe ich als SHP für Fragen des Lernens, bei der Bewältigung von Hausaufgaben, für Prüfungsvorbereitungen oder Unterstützung bei schriftlichen Arbeiten zur Verfügung. Mitunter setze ich mich auch in Fragen des Nachteilsausgleichs mit den Berufsschullehrpersonen auseinander oder helfe beim Formulieren von Briefen an Ämter und Behörden.

Diese zweigleisige Nachbetreuung stellt ein kompensatorisches Angebot zum Erhalt der Chancengerechtigkeit dar. Auch Lernende mit schwierigen Voraussetzungen können ihr Potential entfalten, wenn sie auf ein tragfähiges Beziehungsnetz zurückgreifen können. Wir sind der Überzeugung, dass wir mit unserem Angebot nicht nur die individuellen Lebensläufe unserer Lernenden unterstützen, oder uns schöngeistig für das Ideal der «Chancengerechtigkeit» einsetzen, sondern auch der Wirtschaft und der Gesellschaft als Ganzes einen Dienst erweisen.

Jeder junge Erwachsene nämlich, der den Einstieg ins Erwerbsleben nicht schafft, oder der nicht sein volles Potential entfalten kann, bedeutet letztlich «Verlust an Wertschöpfung», wie es in der Ökonomie genannt wird. Die Beträge, die der Volkswirtschaft so entgehen, sind exorbitant.

Heute blicken wir auf gut 16 Jahre Laufzeit unseres Projektes zurück. Knapp 100 Schülerinnen haben bislang unsere Schule und die Berufsausbildung durchlaufen. Gut 2/3 haben einen Eidgenössischen Berufsabschluss erlangt. Ein Teil unserer Ehemaligen steht derzeit noch in der Lehre. So kommen wir auf ca. 85% unserer Absolventinnen und Absolventen, die erfolgreich in das Erwerbsleben eingetreten sind oder auf dem Weg dahin sind. Gute Rechnerinnen und Rechner stellen fest, dass es einen Rest gibt, Ehemalige, die keinen regulären Berufsabschluss erworben haben. Das ist vielleicht bedauerlich, aber das Leben ist manchmal auch irregulär. Manche haben ihre Nische gefunden, andere suchen sie noch. Ausserdem kann es gut sein, dass unsere Ehemaligen auch erst nach einer gewissen Zeit wieder ans Lernhaus zurückkommen. Wenn sie unsere Unterstützung möchten, wird ihnen die Türe offenstehen.

Wir sind heute zu dritt gekommen. Neben Frau Diethelm und mir ist auch Frau Kappich anwesend. Sie steht derzeit intensiv im Programm der Schulischen Nachbetreuung und bereitet sich auf ihren Lehrabschluss als tiermedizinische Praxisassistentin im kommenden Sommer vor. Gegenwärtig hat sie grad eine sehr aufwändige Vertiefungsarbeit abgeliefert.

Stephan Herzer, Helena Kappich und Damaris Diethelm freuen sich über den Hauptpreis 2023.

Da stehen wir nun und freuen uns riesig über die grosse Wertschätzung, die uns da zuteilwird. Wir dürfen ausserdem mit einem nennenswerten Betrag nachhause gehen, den wir in unser Projekt investieren dürfen. Bis jetzt wurde die sozialpädagogische und schulische Nachbetreuung über den regulären Pensenpool unserer Schule finanziert. Das soll auch weiterhin so bleiben.

Oft haben Ehemalige aber auch Schulkameradinnen und -kameraden mitgebracht, die ebenfalls Unterstützung bei der Berufslehre suchten. Oder Familienmitglieder sind mit Anliegen an uns herangetreten. Wir stellen fest, dass es ein Bedürfnis für dieses Angebot gibt, das über die Gruppe unserer Ehemaligen hinausgeht. Die Preissumme möchten wir zur Weiterentwicklung und Ausdehnung unseres Projektes nutzen. Zunächst möchten wir uns in Sachen Wirksamkeit, deren Planung und Messung beraten lassen. Wir möchten ausserdem unser Modell anderen Schulen zugänglich machen und uns stärker vernetzen mit anderen Leuten, die gute Projekte am Laufen haben. Und drittens sind uns diese Ressourcen willkommen, wenn es darum geht, unsere Infrastruktur auszubauen und auch für weitere Kreise eine Adresse und ein Kompetenzzentrum für die Nachschulische Betreuung von Lernenden zu werden, die unser ‘Know-how’ nutzen möchten.

So sind wir drei Ostschweizer also nach Bern gekommen. Ich hoffe, ich konnte schemenhaft umreissen, wie es dazu gekommen ist. Natürlich stehen wir Ihnen für Ihre Fragen nun noch eine Weile zur Verfügung. Sprechen Sie uns einfach an – wir freuen uns, Ihnen mehr zu erzählen. Und damit sie das auch können, beende ich hiermit meinen Vortrag.

Ich bedanke mich für Ihr Interesse, bei der Jury und den Mitgliedern aller vorberatenden Gremien für die wohlwollende Begutachtung unseres Projekts, beim LCH dafür, dass er diesen Preis geschaffen und hier für eine so würdige Preisverleihung gesorgt hat, bei meiner langjährigen Kollegin Frau Diethelm für ihren grossen und unverzagten Einsatz und die grosse Loyalität, die sie unserem Lernhaus stets erweist. Frau Kappich danke ich herzlich für die Ehre, uns hierher begleitet zu haben – Sie vertritt ja die Hauptpersonen, ohne sie gäbe es unser Projekt nicht und wir stünden heute nicht in Bern. Sie sind die Extrameile mit uns gegangen und machen uns sehr stolz.

Ein Pionier der Berufswahlschule 

(Nachruf zum Tod von Richard Beglinger von Rudolf Stucki, Riehen) 

Richard Beglinger mit seiner Berufswahlklasse 1965/66, die damals noch Werkklasse genannt wurde, beim Hebelschulhaus. Der zweite Schüler von links vorne ist der Autor dieses Nachrufs.

Ende der 1950-er Jahre zog es manche Lehrer aus der Ostschweiz nach Riehen, weil es hier offene Stellen und somit Arbeit gab, welche in der Heimat offensichtlich nicht angeboten werden konnte. Unter ihnen fand sich auch der junge Richard Beglinger, der alsbald im Hebelschulhaus eine Sekundarklasse übernahm. Damals endete die obligatorische Schulzeit noch nach 8 Jahren und weiterführende Schulen waren im Kanton kaum und in Riehen überhaupt nicht vorhanden. Dies erkannte Richard Beglinger als Mangel und er trieb ein Projekt voran, in Riehen eine Berufswahlklasse, damals noch „Werkklasse“ genannt, zu etablierten. Im Frühling 1964 konnte er in den ehemaligen roten Kindergartenbaracken mit einer Klasse ausschliesslich für Knaben damit starten und blieb in der Folge Werklehrer, bis er 1975 zum Rektor der Sekundarschulen Grossbasel ernannt wurde. Ab 1979 wurde Beglinger zusätzlich die Leitung der Berufswahlschule Basel übertragen, deren Gründung er selbst im Anzug im Grossen Rat berantragt und initiiert hatte.

Zur Bedeutung von Beglingers beruflichem Wirken finden sich im Basler Stadtbuch folgende Zeilen, welche Paul Schorno 1991 zu Beglingers Pensionierung verfasste: Er erkannte früh die Bedeutung und Wichtigkeit der Berufswahlvorbereitung auf der Sekundarstufe und es war ihm sehr daran gelegen, dass gerade diese sonst oft benachteiligte Schülerschaft mit möglichst guten Chancen ins Berufs- und Erwachsenenleben eintreten konnte. Beglinger leistete bei der Verwirklichung dieser Absicht Pionierdienste, präsidierte auch die Kommission für ein kantonales Gesetz über die Berufsbildung und wirkte an entscheidender Stelle beim Aufbau eines Amtes für Berufsbildung mit. Weiter war er Präsident der schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Berufswahllehrer und hatte auch Einsitz im Kuratorium von Jugend und Wirtschaft. Sein Handbuch für Lehrer und Berufsberater wurde ein beachtetes Standardwerk.

Eine besondere Ehrung erfuhr Beglingers pädagogisches Schaffen darin, dass die Fachkommission Berufliche Orientierung (FK BO) des Dachverbands der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) einen „Richard Beg-linger Preis“ schuf, welcher fortan alle zwei Jahre für ausserordentliche Bemühungen und ausgezeichnete Arbeiten in der Beruflichen Orientierung und zur Berufsfindung von Jugendlichen vergeben wird.

Während seiner Zeit in Riehen wurde Beglinger Gemeindebürger und politisierte einige Jahre in der SP im Einwohnerrat. In dieser Eigenschaft war er massgeblich daran beteiligt, dass die Gemeinde zu ihrem Spielzeug- und Dorfmuseum kam. Später vertrat er seine politischen Interessen bei der Demokratisch-Sozialen Partei (DSP) im kantonalen Grossen Rat.

Nach der Pensionierung wurede es ruhiger um Richard Beglinger, der seinen Lebensmittelpunkt ins Oberbaselbiet verlegt hatte, wo er am 6. Februar 2023 in seinem 92. Altersjahr in Anwil verstarb.

Trauerkarte Richard Beglinger

Jury-Mitglieder 2023

Daniel Küffer

Freischaffender Musiker und Produzent. Gründer und Künstler für das Projekt “ZusammenSpiel” (multimediale Performance-Konzepte für Visions-/Strategie-entwicklung), Saxofonist für die “365 Jazz Garage”, seit 2001 Multiinstrumentalist für “Andreas Vollenweider & Friends”.

Biografie
Daniel Küffer stammt aus einer musikbegeisterten Familie und studierte in Los Angeles und an der Swiss Jazz School in Bern Saxophon, Klavier und Musiktheorie (Abschluss im Jahr 1993 “mit Auszeichnung”). Er arbeitet in verschiedenen Funktionen in einem breiten Spektrum: Jazz-Formationen, TV-Produktionen, Session-Musiker, Auftragskomponist für Ballett bis hin zu multimedialen Performance Konzepten für Firmenkunden. Mit Andreas Vollenweider tourt er um die Welt, mit Thomas Aeschbacher am Örgeli erforscht er Gemeinsamkeiten zwischen Volksmusik und Jazz. Die Liste der prominenten Schweizer Grössen, welche Daniel Küffer als Saxofonist buchen ist lang: Polo Hofer, Bligg, Gölä, DJ Bobo, Trauffer, DJ Antoine und viele mehr. Seine Arbeit als Komponist und seine Musik leben von der Hingabe an rhythmische und melodische Präzision, jedoch immer getragen von einer tiefen Emotion und Einfühlsamkeit.

Motivation
Als Vater von drei Buben im schulpflichtigen Alter ist mir der Wert von einer vielfältigen, fundierten und begeisternden Bildung mehr als bewusst. Die Schule, die Sportvereine, der Musikunterricht – alles zentral wichtige Pfeiler einer gesunden Jugend und in der Folge von einer gesunden Gesellschaft. Den Unterricht stetig zu verbessern, Neues zu erforschen und Bewährtes zu erhalten verdient jede denkbar mögliche Unterstützung. Es freut mich sehr, dass ich Mitglied der Jury sein darf!

Christine Davatz

Ehem. Vizedirektorin Schweizerischer Gewerbeverband sgv.

Biografie
Ich bin Rechtsanwältin und Notarin, seit 1986 bis 2022 beim Schweizerischen Gewerbeverband sgv für Bildungs- und Frauenfragen zuständig und dadurch auch in verschiede-nen nationalen Bildungsgremien engagiert. Ich bin verheiratet und habe zwei erwachsene Kinder (die Tochter ist gelernte Konstrukteurin, heute Umweltingenieurin und der Sohn gelernter Schreiner).

Motivation
Ich war mit Richard Beglinger persönlich bekannt. Und ich setze mich seit Jahren dafür ein, dass jedes Kind bereits ab der 3. oder 4. Klasse Primarschule (noch vor dem Ent-scheid für ‚Gymnasium oder Berufslehre‘) eine umfassende Orientierung (inkl. persönli-cher Abklärungen) über mögliche Berufslaufbahnen erhalten sollte. Dies würde wohl bei Eltern und Jugendlichen viel Frust vermeiden helfen. Der Richard Beglinger Preis unter-stützt dies und da helfe ich gerne mit!

Daniel Gebauer

Seit 2021 bin ich Mitglied der Geschäftsleitung im Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH.

Biografie
Ich bin bereits mehr als 20 Jahre an der Volksschule tätig. Einen Grossteil davon direkt in der Schulstube als Lehrer auf der Sekundarstufe 1. Seit 10 Jahren leite ich zusammen mit einer Kollegin eine Schule im Emmental und werde ab nächstem Schuljahr die Gesamtschulleitung eines neu geschaffenen Gemeindeverbandes übernehmen. Seit 2019 engagiere ich mich zudem in der Standespolitik. Auf kantonaler Ebene nehme ich Einsitz in der Leitungskonferenz von Bildung Bern. Auf nationaler Ebene bin ich Mitglied der Geschäftsleitung im Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH. Ich bin verheiratet und Vater von zwei (fast) erwachsenen Töchtern.

Motivation
Als Lehrer der Sekundarstufe 1 habe ich etliche Schülerinnen und Schüler in der beruflichen Orientierung begleitet. Dabei habe ich erfahren, welche Herausforderungen die Jugendlichen zu meistern haben und welche Unterstützung sie benötigen. Es ist mir eine grosse Freude, dass ich innovative Projekte für eine erfolgreiche berufliche Orientierung als Teil der Jury auszeichnen darf. Ganz im Sinne von Richard Beglinger.

Stefan Schütz

Leiter Lernwerkstatt Stanzwerk AG Unterentfelden AG

Biografie
Ich bin Mechaniker aus Leidenschaft! Schon in jungen Jahren faszinierte mich Technik und Naturwissenschaft. So konnte ich mein Hobby zum Beruf machen und bin nun seit mehr als zwanzig Jahren Polymechaniker mit Leib und Seele. Mit den Weiterbildungen Berufsbildner und Industriemeister habe ich mir die Kompetenz erarbeitet Jugendliche auszubilden. In meiner Lehrwerkstatt in der Stanzwerk AG in Unterentfelden bilde ich Polymechaniker und Produktionsmechaniker aus. Daneben unterrichte ich in der Berufsschule Zofingen den Freikurs „CAM programmieren“ Die Jugendlichen auszubilden, gemeinsam an den Maschinen zu arbeiten und jeden einzelnen individuell zu fördern ist für mich das Grösste. So wie einst Henry Ford sagte: „Es geschieht nichts, ausser wir tun es“, setze ich lieber Lösungen um, anstatt über Probleme zu diskutieren.

Motivation
Als Berufsbildner bin ich immer auf der Suche nach den geeigneten Jugendlichen für die Ausbildung. So freut es mich Teil dieser Jury zu sein, welche die Personen ehrt, die sich dafür stark machen, die Jungen so vorzubereiten, dass wir Berufsbildner sie dann mit Freude weiter ausbilden und in ihrer Laufbahn begleiten können.

Dagmar Voith

Heute beruflich unabhängig und in diversen Mandaten immer wieder mit verschiedenen Aspekten von Laufbahnprozessen beschäftigt.

Biografie
Bis August 2020 war ich 12 Jahre Rektorin für die Brückenangebote in Baselstadt. In dieser Funktion übernahm ich 2008 auch das Amt der Präsidentin der Stiftung LBV, welche die Ausbildung von Lehrpersonen in der Berufswahl in der Schweiz aufbaute und verantwortete, bevor diese Ausbildung von Pädagogischen Fachhochschulen übernommen wurde.

Motivation
Richard Beglinger war der eigentliche Begründer der „Ausbildung für Lehrpersonen im Berufswahlunterricht“, die dann in die Stiftung LBV mündete und so über viele Jahre Lehr-personen das Rüstzeug für einen erfolgreichen Berufswahlprozess mitgeben konnte. Mir ist es als Nachfolgerin von Richard Beglinger eine ganz besondere Freude, in der Jury des nach ihm benannten Preises mitwirken zu dürfen.

Isabelle Zuppiger

Dr. phil., Inhaberin der Firma IsabelleZuppigerPersonal GmbH, Personal Management & Development. Seit 2006 Präsidentin von ‚profunda-suisse‘, dem Verband der Fachleute für Laufbahnentwicklung und Berufsberatung.

Biografie
Seit mehr als 20 Jahren engagiere ich mich für die Berufs‑, Studien- und Laufbahnbera-tung. Als Leiterin der Fachstellen in den Kantonen Luzern und Zürich war ich verant-wortlich für die optimale Unterstützung der Jugendlichen im Berufswahlprozess und für eine gute Zusammenarbeit der Berufsberatung mit den Lehrpersonen, den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten und der Wirtschaft. Jetzt präsidiere ich die ‚profunda-suisse‘.

Motivation
Als Präsidentin von profunda-suisse setze ich mich dafür ein, dass die Jugendlichen genü-gend Zeit erhalten für die Auseinandersetzung mit ihren Fähigkeiten und ihren Interessen, mit der Berufs- und Ausbildungsorientierung sowie mit der Wahl eines Berufes oder einer weiterführenden Ausbildung. Damit ihre Freude und ihre Motivation am Lernen erhalten bleiben, ein (Berufs-)Leben lang. Für dieses Ziel engagiere ich mich gerne in der Jury des Richard Beglinger Preises.

Ruth Sprecher

Präsidentin Fachkommission ‚Berufliche Orientierung‘ LCH. Vorsitzende der Jury zum RichardBeglingerPreis.

Biografie
Als langjährige Berufswahlkoordinatorin und Klassenlehrperson der Berufs‑, Fach- und Fortbildungsschule BE sowie als Präsidentin der vormaligen AGLB (Arbeitsgemeinschaft der Lehrkräfte für Berufswahlvorbereitung) und Stiftungsratsmitglied des LBV, der Stiftung zur Förderung der Weiterbildung von Lehrkräften in Berufswahlvorbereitung, habe ich die Begleitung und Förderung der Jugendlichen auf ihrem Weg in die Berufsfindung ins Zentrum meines pädagogischen Auftrags gestellt.

Motivation
Die aus dem Stiftungsvermögen des aufgelösten LBV geäufneten Fördergelder sind dem LCH zur treuhänderischen Verwaltung und Nutzung des Kapitals im Sinne des Stiftungs-zwecks vermacht worden. Mit den zur Verfügung stehenden Mitteln können innovative Projekte mit einem berufswahlbezogenen Kontext gefördert und unterstützt werden.

Marcello Weber

Lehrer, Dozent und Organisationsberater, Vizepräsident der Fachkommission Berufliche Orientierung des LCH und Sachbearbeiter zum Richard Beglinger Preis. inzwischen im Ruhestand wieder mit mehr Zeit für eine weiterhin aktive Karriere als Amateur Blues- & Rock-Musiker.

Biografie
Während meiner gesamten Berufslaufbahn mit vielfältigen Beschäftigungen und Aufträgen als Lehrperson der Volksschule, im Brückenangebot zur Berufsbildung, als Dozent und Kursleiter an Pädagogischen Hochschulen und als Coach oder Berater waren mir die Anliegen rund um die Berufliche Orientierung immer ein zentrales Anliegen und ein verbindendes Element meiner Tätigkeiten im Übergang von der Schule in die Arbeitswelt. Ich freue mich, diese Erfahrungen als Senior Consultant nun auch im Ruhestand noch weiter einzubringen.

Motivation
Als selbstverantwortlicher Lebensunternehmer und Tausendsassa in vielerlei Funktionen verfüge ich über langjährige Kontakte in einem weitverzweigten Netzwerk, die ich gern auch ins Alter weiter unterhalte. Dazu ist die Mitwirkung in der FK BO LCH und speziell bei der Ausrichtung des Richard Beglinger Preises ein befriedigendes Ehrenamt, denn daraus ergeben sich bis hin zu den Jugendlichen als Nutzniesser eigentlich nur Gewinner! Ich freue mich sehr, mit von der Partie zu sein.

Der LCH lanciert an der Swissdidac Bern einen neuen Preis

An der diesjährigen Bildungsmesse Swissdidac Bern sorgte der LCH für ein Highlight: Zum ersten Mal wurde der Richard-Beglinger-Preis für Projekte der beruflichen Orientierung vergeben. Das war aber längst nicht alles.

Preisträger des Richard-Beglinger-Preis: Hannes Mathys und Jennifer Wandfluh.
Hannes Mathys hat für das Oberstufenzentrum Stockhorn den Anerkennungspreis entgegengenommen. Jennifer Wandfluh (rechts) hat den Richard-Beglinger-Preis 2021 (Hauptpreis) für ihr Projekt «FrutigGwärb-Woche» gewonnen.
Fotos: Claudia Baumberger

Ausgezeichnet wurden schliesslich zwei Projekte aus dem Kanton Bern. Den Anerkennungspreis erhielt das Oberstufenzentrum Stockhorn in Konolfingen, das ein flexibilisiertes neuntes Schuljahr anbietet. Die Schülerinnen und Schüler können sich in diesem Schuljahr gezielt auf den Einstieg in eine spätere Ausbildung vorbereiten. Der Anerkennungspreis wurde mit 2’000 Franken dotiert. Schulleiter Hannes Mathys nahm den Preis stellvertretend für das Kollegium entgegen.

Erster Preis geht nach Frutigen

Den ersten Preis erhielt die «FrutigGwärbWoche». Das Projekt von Oberstufenlehrerin Jennifer Wandfluh wurde im Schuljahr 20/21 als Pilot durchgeführt. Die Siebtklässlerinnen und Siebtklässler arbeiten drei Tage in einem Betrieb mit. In dieser Zeit erstellen sie einen Werbefilm für den Beruf. Ziel des Projekts ist, die Vielfalt des lokalen Gewerbes in Frutigen unbeschwert kennenzulernen. «Die FrutigGwärbWoche ist die Kickoff-Veranstaltung des Berufswahlprozesses», erklärte Wandfluh in ihrer Dankesrede. «Sie war für alle Seiten ein Erfolgserlebnis. Der Preis motiviert mich sehr, das Projekt nächstes Jahr wieder durchzuführen.»

Die Zweitauflage des Richard-Beglinger-Preises ist für die nächste Swissdidac in zwei Jahren vorgesehen.

Impressionen

Verteilung der Preissumme

Inzwischen wurde im LCH grundsätzlich beschlossen, die Preissumme auf zwei oder drei Projekte zu verteilen, wobei der 1. Preis mindestens die Hälfte des Betrags, und die weiteren sodann gleich hohe kleinere Zuwendungen erhalten sollen. Zusätzlich soll eine medienwirksame Ehrenmeldung gestaltet werden, welche für einige weitere ausgezeichnete Arbeiten, die es nicht in die vordersten Ränge geschafft haben, verliehen werden kann.